Zweiphasiger städtebaulicher Einladungswettbewerb mit freiraumplanerischer Vertiefung
Der Industriehof ist in vielfacher Hinsicht ein einmaliges Ensemble und spannendes Kleinod. Geprägt durch seinen bedeutsamen historischen (Gebäude-)Bestand, seine introvertierte Lage, seine unterschiedlichen Freiräume, abwechslungsreichen Raumfolgen, vielfältigen Nutzungen sowie den Kontrast aus geschäftigem Treiben und beschaulicher Ruhe, stellt er gewisser Maßen eine eigene ‚kleine Welt‘ innerhalb des Stadtgefüges Speyers dar.
Zusammen mit dem anliegenden Gewerbehof Pfirrmann, den städtischen Flächen, dem umgebenden Grünzug sowie den Brachflächen im Rheinpark, bieten sich enorme Potenziale und Chancen für ein behutsames ‚Wachküssen‘ dieses Areals im ‚Dornröschenschlaf‘.
Im Sinne einer umsichtigen, schrittweisen Weiterentwicklung und Qualifizierung des gesamten Bereiches zu einem integrierten, synergetischen, attraktiven, lebendigen und vielseitigen Stadtquartier für unterschiedliche Nutzergruppen, gilt es mit Fingerspitzengefühl auf dem Vorhandenen aufzubauen, den spezifischen Charakter zu wahren und herauszustellen, aber auch neue bereichernde Elemente einzufügen.
Dazu bedarf es eines stabilen, robusten Entwicklungsrahmens, der jedoch variabel ausgestaltet und gefüllt werden kann und zugleich auch offen und flexibel für Unvorhergesehenes bleibt, sowie einer mehrdimensionalen Strategie, die neben baulichen und (frei-)räumlichen Bausteinen ebenso programmatische und (zwischen-)zeitliche Aspekte umfasst.
GRUNDPRINZIP
Wir verstehen den Industriehof in einem additiven System, in dem auf einer gemeinsam nutzbaren Bodenplatte die bestehenden Gebäude und Freiräume durch neue Elemente Patchwork-artig ergänzt und bereichert werden. So ergibt sich aus vielen einzelnen Mosaik- und Bausteinen ein stimmiges Gesamtbild.
BAUSTRUKTUR UND GESTALT
Gezieltes, behutsames und minimalinvasives Sanieren impliziert den Bestand nicht zu überfrachten und energetische Sanierungen desselben auf ein Minimum zu beschränken. Alle Ergänzungen innerhalb des denkmalgeschützten Bestandes werden subtil im Sinne eines Haus-im-Haus-Prinzips durchgeführt. So bleiben die historischen Baukörper und Fassaden intakt und ablesbar, auch, wenn sie mit neuer Funktion gefüllt werden. Die charakterbildenden Hochpunkte des Ensembles (insbesondere #002, #135, #113) bieten sich aufgrund ihrer klaren Geometrie für eine energetische Sanierung an und werden so neu belebt. Ansonsten werden die Hallen mit niedrigschwelligen Nutzungen belegt. Das Hauptpotential für die Entwicklung intensiv nutzbarer Flächen sind Neubauten, die den historischen Bestand behutsam weiterspinnen.
Eine besondere Bedeutung kommt den großen Hallen (u.a. #001, #002, #019, #081) zu, denen in diesem Ensemble eine städtebauliche Gelenkfunktion zufällt. Ein großes Potential für die Strukturierung des Areals und die Belebung des Bestands besteht darin, diese Hallen zu öffnen und zu durchwegen. So entstehen Räume für ganz neue und kreative Nutzungen wie Coworking, Startup, Quartiersmärkte, Ausstellungen, etc. Diese Maßnahme bietet die Chance, den besonderen Bestand als öffentlichen (Handels-) Raum neu zu erfahren.
FREIRAUM UND GESTALT
Als Besucher des Industriehofs wird man umgeben von Industrie-Charme und ist fasziniert von Farben und Materialität. Das fast sinnliche Bild des Areals wird im Freiraumkonzept aufgegriffen und in die Zukunft transportiert. Gassen, Höfe, Wege, Plätze ergeben wie von selbst das Bild eines „Patchwork-Teppichs“. „Patchwork“ ist die Freiraumidee, welche den Gedanken der Mannigfaltigkeit und des Industrie-Charmes des Industrie-Hofs unterstreicht. Offen und puzzleartig formen sich entlang der Hauptachse „Industriehof-Avenue“ die jeweiligen Cluster mit den unterschiedlichen Zonen/Räumen. Höfe mit diversem Charakter sind durch die Nutzung der umgebenden Gebäude geprägt. Jedoch gibt es auch Stellen, wo der Freiraum eine ganz andere Persönlichkeit zeigt, frei von jeglicher Beeinflussung der baulichen Struktur. Hier können sich die Bewohner und Nutzer die Flächen aneignen und so gestalten wie sie möchten oder einfach die Grünfläche als Erholungsort genießen.
Auftakt zum Areal ist der einladende, urbane „Platz am Rhein“ - inklusive Rheinblick. Dieser Platz leitet in die zentrale Achse ein, die in den heimeligen „I-Hof-Platz“ am westlichen Ende des Gebiets ihren Abschluss findet.
Angeschlossen an der „Industriehof-Avenue“ strecken sich perpendikulär nach Norden und Süden Höfe, Gassen, Wege, Plätze und Grünflächen. Wie z.B.: „Forschungs-Hof/Gasse, Liegewiese, Urban Gardening, Vorzonen der Gebäude, „Urbaner Platz“, „Pocket-Rooms“ usw. Schlussendlich geben viele Puzzlestücke/Räume ein dynamisches, aber auch einheitliches Freiraumbild ab.
MOBILITÄT UND ERSCHLIESSUNG
Der Verkehr auf dem Industriehof wird nach dem Shared-Space-Prinzip abgewickelt, was bedeutet, dass die Verkehrsflächen von allen Verkehrsteilnehmern gemeinsam und gleichberechtigt genutzt werden können. Um den MIV auf das Notwendigste (Anlieferung, etc.) zu reduzieren, wird dieser am Eingang abgefangen und in ein Mobility-Hub geleitet, wo Parkplätze und Ladestationen, sowie andere nachhaltige Verkehrsmittel und -optionen in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Der Anlieferverkehr innerhalb des Industriehofes wird über eine Erschließungsschlaufe abgewickelt, von der aus alle Bereiche anfahrbar sind. Zusätzlich wird der I-Hof durch ein bestehendes und neues, attraktives Wegenetz nach innen und außen vernetzt, dessen zentraler Bestandteil die sogenannte „Industriehof-Avenue“ bildet. Eine zusätzliche Bushaltestelle am Auftakt in das Quartier, sowie das Angebot an nachhaltigen Verkehrsmitteln, Elektromobilität, Serviceangebote sowie der Ausbau eines attraktiven Fuß- und Radwegenetzes sind Grundlage eines nachhaltigen Mobilitätskonzepts.
NUTZUNGEN
Teil des Konzeptes ist, die jeweiligen Nutzungen im Industriehof nicht gezielt festlegen zu wollen. Areale wie das städtische Grundstück werden wegen der ruhigeren Lage überwiegend zum Wohnen genutzt werden. Aufgrund der erhöhten Lärmpegel ist auch davon auszugehen, dass der Bereich nördlich der Achse überwiegend dem Gewerbe zufällt. Teil des übergeordneten Shared-Space-Ansatzes ist es jedoch, die Gebäude genauso verstehen zu wollen und je nach Anforderung möglichst vielseitig nutzen zu können. Insbesondere das EG ist hierbei ein wichtiger Katalysator zwischen Öffentlichkeit und sichtbarer Aneignung / Nutzung. Sonderfunktionen wie Mobility-Hub, Gastronomie, Sport und Freizeit, KITA, Ausstellung, etc. werden in das Ensemble eingestreut.
ABSCHNITTSBILDUNG UND ZEITLICHE FLEXIBILITÄT
In der bereits erwähnten Entwicklungsstrategie stehen Flexibilität und Transformationsmöglichkeiten im Vordergrund. Neben den erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen stehen Abriss und Neubebauung des Pfirrmann Geländes jedoch an oberster Stelle. Hiermit wird dem Industriehof nicht nur ein Gesicht an der Franz-Kirrmeier Straße verliehen, sondern vor allem auch der Grundstein für das nachhaltige Mobilitätskonzept durch das Mobility-Hub gelegt. Weitere Umstrukturierungs- und Neubaumaßnahmen können sich nach Bedarf und ganz flexibel innerhalb des Entwicklungsrahmens entwickeln.