Das Boehringer Areal in Göppingen. Industrie, Handwerk und Architektur entwickelten sich an diesem Standort seit 1844 Seite an Seite zu einem einzigartigen Stadtbaustein.
Durch sich verändernde Bedürfnisse und den Fortschritt des Nutzers wuchs das Boehringer Areal ständig mit.
Die historisch wertvolle und denkmalgeschützte Bausubstanz wurde durch dieses Wachstum teilweise verfälscht und unter folgenden Zeitschichten verborgen. Ebenso verschwand die Verknüpfung des Ortes zur Stadt Göppingen. Sie ist nur noch in der Geschichte wiederzufinden.
Entwurfsziel
- Lebendiger und Zeitgemäßes Quartier, das als Teil der Stadt Göppingen wiederauflebt mit hohem Wiedererkennungswert und Identifikationscharakter für Göppinger Bürger und Boehringer Mitarbeiter
- Attraktiver und nachhaltiger Firmen- und Arbeitsstandort, dessen Struktur sich an verschiedene Nutzergruppen und Nutzergrößen anpassen kann
Struktur
- Einpassen und Fortführen der Vorhandenen Strukturen
- Stärkung und Akzentuierung der Ecken und Quartiersränder
- Anpassungsfähige Realisierungsabschnitte mit funktionierender Infrastruktur für Lieferverkehr und Zugänglichkeit
- Rückbau nicht erhaltenswerter und unflexibler Bestände
Denkmal
- Industriecharme aus unterschiedlichsten Zeiträumen
- Erhalt und Ergänzung der Hallenstruktur in respektvollem Maß
- Weiterentwicklung mit angemessener architektonischer Sprache
- Genius Loci und Überführung in zeitgemäße Nutzungen
Erschließung
- Anlieferung mit LKW und Zufahrt mit PKW im Süden
- Öffentliche Rad- und Fußserschließung als Boehringer Boulevard durch das Quartier. Linear und an Idealer Stelle durch den Bestand geführt bietet der Boulevard Orientierung und Wiedererkennung.
- Nord-Süd Verbindungen entlang von Plätzen und Knotenpunkten um den Boulevard von jeder Stelle des Quartiers erreichen zu können
- Die Anlieferung findet zwischen den neuen Baukörpern auf dem unteren Niveau statt und stört nicht den Verkehr auf der Südlichen Erschließungsachse
- Die Parkebenen sind durch den Geländeverlauf ideal Eingebunden. Im Osten befindet sich die Parkebene auf Straßenniveau an Stelle eines ehemaligen Kellers, wodurch sich der Erdaushub minimiert.
Baukörper
- Linear, großflächig und strukturiert. Die Ergänzungsbauten nehmen die Qualitäten der bewährten Bestandsstrukturen auf und überführen sie in eine anpassungsfähige und zeitgemäße Architektur.
- Unterschiedliche Volumen lassen sich zusammenschließen oder trennen. Stockwerksübergreifende Einheiten und großflächige Fertigungshallen können gleichermaßen angeboten werden. Das Gebäude dient dem Nutzer.
Bestand
- Die unterschiedlichen Gebäudetypologien bekommen Nutzungen, die Ihrer Größe und Verortung entsprechen. Die hohen 1-geschossigen Hallen werden mit 2-geschossigen Körpern ergänzt. Hier können, je nach Anspruch, Nebenräume, Lagerräume, Besprechungszimmer, etc. untergebracht werden. Niedrigere Bereiche werden mit demselben Prinzip zoniert und ergänzt. Bei letzterem jedoch mit 1-geschossigen Volumen.
- Die alte Gießerei kann je nach Wunsch der Betreiber weiterhin als Produktionshalle genutzt werden oder als Veranstaltungsort und Büro (Haus im Haus) im Herzen des Areals.
Materialität
- Der Entwurf bedient sich am materiellen Repertoire des Boehringer Areals.
- Großformatige Betonplatten werden mit dem geschredderten Abbruchziegel gefärbt.
- Der Neubau mit pigmentgefärbter Sichtbetonoberfläche ist in Bewusster Anlehnung an das Gemauerte Erscheinungsbild der Bestandsbauten angelegt
Freiraum
- Plätze, Wege und Orte aus einer Familie mit differenzierten Qualitäten
- Der Boehringer Boulevard als belebte Ader, Rückgrat der Gebäude und Verbindendes Element von Neu, Alt, Innen und Außen. Der Belag wird mit den Abbruchziegeln rot gefärbt. Somit bleibt ein Teil der Geschichte erhalten!
- Begleitet wird der Boulevard durch ein Wasserband und ein bepflanztes grünes Band. Beides dient als Puffer für Niederschlag. Es Schafft Aufenthaltsqualität, Atmosphäre und belebt das bisherige Niemandsland im Inneren.
- Die Neue Schallschutzmauer schützt nicht nur die Anlieferung, sondern auch den Freiraum vor Lärm.
Unterstützt durch die Kompakte Stellung der Baukörper wird der Lärm optimal reduziert.
- Der Nord-Osten und Nordwesten hält repräsentative Vorplätze bereit, die einen ersten Vorgeschmack auf das Quartiersinnere geben und Besucher einladen über den Boulevard zu schlendern.
- Mit dem Goeppinger Hof und der Boehringer Platz befinden sich zwei unterschiedlich bespielbare Freiflächen auf dem Gelände. Sie können für Veranstaltungen, Freizeitaufenthalte oder ganz einfach zur Mittagspause der Mitarbeiter genutzt werden. Der Boehringer Platz ist zudem durch die Veranda und die verschiebbaren Baumkübel sehr Wandelbar.
Energie
- Neben einer Versorgung durch ein Nahwärmenetz (Biomasse) können solare Einträge den Energiebedarf decken. Nachhaltigkeit im urbanen Gefüge fördert die Attraktivität des Standorts.
- Durch den Erhalt der grossen Hallen, wird der Dämmaufwand auf ein Minimum reduziert. Lediglich das Dach muss ertüchtigt werden. Mit zusätzlichen Massnahmen am Boden kann eine ideale Arbeitsumgebung geschaffen werden.
- Die Neubauten aus Stahlbeton können leicht auf einen KFW 70 Standart gebracht werden.
Beurteilung durch das Preisgericht
Die Weiterentwicklung des strukturellen Ansatzes aus der ersten Phase, der Umgang mit den Bestandsgebäuden an der Stuttgarter Straße, einem neuen Hochpunkt am westlichen Stadteingang sowie flexibel in Reihe angeordneter Einzelgebäuden, wird dem Grunde nach positiv bewertet.
In der genauen Betrachtung stellt sich jedoch die auf den ersten Blick nachvollziehbare Lageplanfigur in der dritten Dimension, in den Ansichten und im Modell, mit nicht verständlichen und zu großen Baumassen in Höhe und Abstandsflächen dar.
Große Teile der denkmalgeschützten Bausubstanz werden erhalten, jedoch sind die Eingriffe in die Substanz nicht nachvollziehbar, da die Bestandsstrukturen nicht fortentwickelt und teilweise unsubtil aufgebrochen werden. Die in die Substanz eingestellten Bürokoffer zeigen weder eine denkmalgerechte Fortschreibung des Bestandes noch besitzen sie städtebauliche und räumliche Qualitäten.
Das angebotene, sehr flexible Nutzungskonzept mit der quasi freien Wahl von verschiedenen Gebäudesetzungen und -höhen hat einerseits für die Auslober den Vorteil von hoher Nutzungsflexibilität, birgt jedoch die Gefahr von einer beliebigen Entwicklung des Gesamtareals mit dem Verlust des Alleinstellungsmerkmals und der Qualität für das Boehringer-Areal.
Der geplante Abriss des intakten Bestandsgebäudes (Werk I) und sein Ersatz durch einen nahezu identischen Neubau ist unverständlich.
Die strukturelle Disponierung der Freiräume ist in Lage und Größe richtig gewählt. Die Angemessenheit und räumliche Wirkung der sehr langen, geraden Achse sowie die Teilüberdachung wird hinterfragt. Im Detail wirkt das Angebot für den Freiraum zu gegliedert und lässt die erforderliche Robustheit für ein Gewerbeareal vermissen.
Die Erschließung funktioniert dem Grunde nach, lässt jedoch beispielsweise hinsichtlich der richtigen Dimensionierung der Erschließungskorridore, der angemessenen Schleppkurven im Inneren oder hinsichtlich der Höhenabwicklung in Richtung Stuttgarter Straße Fragen offen. Die in großen, teils zweigeschossigen Tiefgaragen untergebrachte Parkierung erzielt zwar eine höhere oberirdische Nutzfläche, jedoch wird der Aufwand und die nicht gegebene Nachnutzung kritisch bewertet.
In der Gesamtbetrachtung ist das Konzept zu austauschbar und lässt die gewünschte Eigenständigkeit von denkmalgeschützter Bausubstanz und neuen Bauvolumen als besonderes Gesamtensemble für das Boehringer-Areal vermissen.